„Hört auf zu streiten!“ – und warum du das nicht sagen solltest

Ich übe mich ja immer wieder in Empathie. Und in Nerven bewahren – zweiteres fällt mir schwerer.

Meine Kinder sind jetzt drei und zwei Jahre alt und können sich ganz schön lieb haben – so richtig mit Kussi hier, Kussi da, Umarmung, Händchen halten …

Aber genauso gut können sie streiten – das ist mir ja echt das liebste. Ich könnte durchdrehen. Und tatsächlich tue ich es.

Hörst du dir manchmal zu?

Das hab ich mich gestern Abend gefragt. Die Kinder lagen schlafend neben mir und ich grübelte darüber nach, warum ich Streitigkeiten der Kinder so nervig finde. Und warum ich daraufhin mit anschreien reagiere.

Da fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen:

Anschreien bringt nichts. Anschreien erniedrigt, anschreien macht ein schlechtes Gewissen.

Und ich möchte nicht, dass sich meine Kinder schlecht fühlen. Nicht durch mich. Nicht, weil ich sie so unreflektiert und dumm angeschrien habe, weil ich nicht in der Lage war, sie einfach nur zu begleiten und beiden Empathie zu schenken. Weil Streiten normal ist. Und in Ordnung.

Warum fällt es mir schwer Streitigkeiten zu sehen/hören?

Ich habe mal tief in mich hinein gehorcht, und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich nie „gelernt“ habe einen Streit zu führen. Eine Diskussion zu lösen.

Ein Streit ist für alle Beteiligten einfach nur anstrengend , vor allem, wenn sich die Streitenden noch nicht so gut ausdrücken können, worum überhaupt gestritten wird und wie es gelöst werden kann.

Schreien hilft nicht und sendet falsche Signale

Bisher ist mir ziemlich schnell die Empathie flöten gegangen und die Hutschnur platzte – ich schrie beide an :

„Könnt ihr nicht eiiiiiinmal aufhören zu streiten?!!!! BITTE! Es n-e-r-v-t!“

Die sich gegenseitig anbrüllenden Kinder schwiegen nun und schauten mich mit großen Augen an.

Der Blick senkte sich. Stille.

Scheiße. So will ich nicht sein.

Wie kam ich auf die Idee, einen lautstarken Streit mit der doppelten Lautstärke zu schlichten?

Eigentlich, hatte ich ja nicht mal versucht den Streit zu schlichten, ich wollte einfach Ruhe. Ich wollte Frieden.

Aber so einfach ist es ja eben nicht.

Wer findet es nicht toll, wenn sich alle vertragen und den ganzen Tag Lächeln und friedlich zusammen spielen und … äh, und wo bleibt die Realität in der es Wut, Trauer und Zorn gibt? In der geflucht wird , gestritten und gebrüllt?

Warum nehmen wir uns Erwachsene eigentlich das Recht raus unsere Kinder anzubrüllen wenn uns was nicht passt, aber sie sollen den ganzen Tag wie glückliche Roboter spielen?

Wieso haben wir das Recht mit unseren Kindern und anderen Menschen zu streiten, aber unsere Kinder dürfen dies nicht?

Müssen Kinder streiten lernen?

Ich halte ja nicht so viel von „lernen müssen“ – das hat etwas von ‚antrainieren‘, ‚ zwingen‘ , ‚in eine Schablone pressen‘ ..

Doch, müssen Kinder streiten lernen?

Ich glaube nicht, dass sie streiten richtig lernen müssen, sondern viel mehr uns als Begleiter brauchen. Jemand, der von außen nochmal auf die Situation schaut, neutral ist, Lösungen findet und das dann alle gemeinsam aus dem Streit finden.

Denn ich glaube, dass es Menschen erst dann gelingt , konstruktive Diskussionen zu führen, wenn sie erfahren haben, wie sie konstruktiv in Streitigkeiten vorgehen. Wenn sie dabei begleitet wurden , Lösungsorientiert vorgegangen sind und mit zunehmendem Alter, braucht es dann eventuell keinen Begleiter mehr. (Nicht umsonst gibt es Streitschlichter oder auch Mediatoren)

Wie kann eine solche Begleitung denn aber aussehen?

„ Oh , streitet ihr euch gerade um XYZ?

Du wolltest damit gerne spielen und X hat es dir weggenommen?

(An X gewandt) Du wolltest gerade auch damit spielen? Weißt du, Y hatte das gerade und hat damit gespielt. Willst du ihr es zurück geben und wir suchen was anderes zum Spielen? „

Zwei Antwortmöglichkeiten stehen jetzt vor uns: entweder sagt das Kind ja, oder es sagt nein,

Bei Ja ist es natürlich klar. XYZ wird zurückgegeben und was anderes zum Spielen wird gesucht. Problem gelöst und alle sind glücklich – doch in den meisten Fällen ist es ja doch nicht ganz so einfach und es beharrt auf ein nein.

Das ist so der Zeitpunkt, bei dem mir die Nerven schon Geige spielen – das Kind schreit nein, das andere Kind schreit und weint immer lauter und ich weiß nicht was ich machen soll. Vertrösten?

(Zu Y gewandt) „ hmm, X will XYZ nicht wieder hergeben. Das ist jetzt richtig doof, oder? Möchtest du, dass wir was anderes spielen? Soll ich dich trösten? „

Die Problematik ist , finde ich, dass ich meine Kinder nicht dazu anleite zu teilen – bei anderen (fremden) Kindern. Doch , wie geht das bei Geschwistern?! Bei Sachen, die beiden Kindern gehören?

Prinzip ‚Wer zuerst kommt, mahlt zuerst „?

Das finde ich ja ganz plausible , aber genauso blöd für das andere Kind – denn es gehört ja auch ihm.

Wegnehmen tolerieren und die Wut und Trauer vom anderen begleiten?

Ich denke , dass dies der bessere Weg bei Geschwistern ist.

  • Situation schildern
  • Fragen wegen zurückgeben und anderes suchen
  • Ggf Wut und Trauer begleiten

Das ist mein Weg, den ich versuche bei meinen Kindern zu gehen. Für Sachen, die ganz klar X oder Y gehören, würde ich aber eben auch genau das klarstellen „Tut mir Leid, aber das gehört X und sie möchte das zurückhaben. Komm, wir können dafür was anderes spielen.“ – daraufhin folgt ja doch meist ein Wutanfall, klar, das ist einfach Mist, wenn jemand etwas hat, was der andere auch gerne hätte (jetzt weiß ich wieder, warum wir so viele doppelte Sachen haben!).

Also mein Tipp:

Hör dir selbst öfter zu. Möchtest du so angeschrien werden? Möchtest du bei Streitereien angepöbelt werden oder würdest du es begrüßen, wenn jemand von außen dich sieht.

Dich sieht, wie verzweifelt du bist. Wie sehr du gerade XY willst oder eben auch nicht willst.

Der Streit löst sich nicht auf indem jemand schreit, dass der Streit aufhören solle, sondern eben indem der Streit zu Ende geführt wird – und da brauchen Kinder einfach noch enge Begleitung und eine Riesen Portion Empathie.

Und wir stärkere Nerven. ❤️

P.S. Wenn ich als Begleiter da bin, dann nehme ich niemals (!) meinem Kind etwas weg „weil XY es zuerst hatte“, das ist eine Macht, die ich nicht ausnutzen möchte. Ebenso möchte ich eben Begleiter sein und diesen Streit nicht *päng* auflösen, sondern der Streit darf gerade Raum haben. Die Kinder ‚sollen‘ es ,soweit es eben ohne Begleitung möglich ist , unter sich ausmachen – wenn es heißt, dass X das Spielzeug wieder an sich reißt , dann ist das in Ordnung.

Aber ich möchte auf Augenhöhe bleiben – und da sehe ich anschreien und/oder einfach wegnehmen nicht als Lösung an.

3 Kommentare

  1. Es gelingt mir eigentlich oft die Kinder in einem Konflikt zu begleiten. Manchmal sage ich nur zum K2 „Schau K1 möchte das“ und zu K1 „K2 will dieses und jenes“ und dann frage ich sie, ob sie sich einigen können. Meistens reicht es schon und ich muss mich umdrehen und sie lassen.
    Aaaaaber…wenn du das bereits am Vormittag mehr als 10x machen musstest, reicht es auch meinen Nerven und ich sage dann auch, dass sie aufhören sollen zu streiten. Manche Tage sind so und ich bin auch nur ein Mensch. Sie dürfen wissen, dass es irgendwann zuviel ist.

  2. Liebe Lisa, bin über MIRACLE MORNING auf deinem Blog gelandet und finde deine Art zu reflektieren und zu schreiben schlichtweg großartig! Meine 3 Kinder sind mittlerweile 29 und 22 Jahre alt (Zwillinge), doch werden beim Lesen deiner Berichte so viele Erinnerungen wach daran, dass ich bei meinen Kindern so einiges getan habe, was ich mit meinem heutigen Wissen vollkommen anders angehen würde. Ich habe gelernt, mir das anzusehen, einzugestehen – und dann auch wieder losulassen, denn damals konnte ich nicht anders handeln, sonst hätte ich es getan. Mit meinen Kindern zusammen haben wir vergangene Situationen bereinigen können, und ich bin so unendlich dankbar dafür, dass uns so viel Liebe und Wohlwollen verbindet. Wenn ich mal im Oma-Status sein sollte, werde ich jedoch vieles anders handhaben, und deine Artikel helfen mir beim Reflektieren sehr! Danke dir von Herzen!

    1. Vielen lieben Dank für den netten Kommentar, liebe Susana. 🙂
      Damals konnten sehr viele nicht anders handeln, alleine schon meist durch die eigene Kindheit, die einen ja sozusagen ‘verfolgt’ und sicher auch öfters triggert, wenn dann die eigenen Kinder auf der Welt sind. Zum Glück besitzen wir Menschen die Fähigkeit uns selbst zu reflektieren und Gewohnheiten zu ändern. 🙂

      Wünsche dir noch einen schönen Sonntag.

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