Für viele ist klar : Erziehung muss sein. Ein Kind braucht Regeln. Ein Kind muss gehorchen.
Ja, ich gebe zu – auch ich dachte das. Ein Kind braucht eine strenge Erziehung , sonst tanzt der kleine Satansbraten einem auf der Nase rum und wird niemals was im Leben erreichen.
Wenn ich mir das so auf der Zunge zergehen lasse, merke ich, dass es doch echt harte Worte sind.
Satansbraten? Meine Kinder? Die ich aus Liebe geboren habe, welche ich abgöttisch liebe und bei denen ich (und ich hoffe sie auch bei mir) geborgen fühlen.
Erziehung heißt Macht. Kontrolle. Eine Führungsposition einnehmen.
Diese drei Wörter erinnern mich stark an die zweite Weltkriegszeit – aber auch an meine Kindheit.
Sie wurde geprägt mit Unterwerfung, Strafen, Grenzen wo eigentlich keine sein sollten , Regeln die nichts bringen außer dem, der sie ausspricht.
Was ist Erziehung? Und wozu braucht ein Kind diese Art von Erziehung?
“Unter Erziehung werden Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Bestandteile zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten” –Erziehungswissenschaftler Wolfgang Brezinka
Auf gut Deutsch : ‘negative’ Verhalten müssen bestraft werden und nur die ‘guten’ werden belohnt und müssen aufrecht erhalten und verbessert werden.
Da schwindet also das Individuum dahin. Keine Unikate mehr , sondern ein vorgeformter Mensch. Fertig geformt , wenn der Mensch das Nest der Eltern verlässt – und später diese ‘Tradition’ bei seinen/ihren Kindern weiterführt.
“Ein Kind braucht Grenzen!”
Ja, dem stimme ich zu. Doch ich verändere den Satz: “Jeder Mensch hat Grenzen!”.
Ich habe das Buch ‘Grenzen, Nähe , Respekt’ von Jesper Juul gelesen und kann es an dieser Stelle jedem wärmstens empfehlen.
Grenzen – wo fangen sie an , wo hören sie auf?
Jeder Mensch hat seine ganz persönlichen Grenzen – bei manchen ist sie schnell erreicht, andere sind in eben dieser Situation noch ganz gelassen und die persönliche Grenzüberschreitung ist in weiter Ferne.
Grenzen gelten für jeden – oder nicht!?
Doch immer wieder höre ich (sinnlos) gesetzte Grenzen die nur für das Kind gedacht sind. Niemand hält sich dran , denn diese Grenze zäunt nur das Kind ein.
Eine Grenze kann man nicht sehen , wir sprechen hier von menschlichen/persönlichen Grenzen – keine Ländergrenzen oder ähnliches.
Und doch ist es für Kinder wie eine Betonmauer, welche ein Gefängnis für höchst Kriminelle umzäunt.
Grenzen , die es so gar nicht gibt , die keine Notwendigkeit haben , die niemanden schützen und niemandem etwas bringen.
Grenzen. Von jedem sollten sie gewahrt werden. Unter Erwachsenen gelingt einem das fast immer – bei einem Kind werden sie maßlos überschritten und nicht ernst genommen.
Das Sprichwort heißt doch “Behandle deinen Gegenüber so, wie du auch behandelt werden möchtest” – möchte also jeder, dass die eigenen Grenzen überschritten werden?
Nein! Und das muss aufhören ! Kinder haben ein Recht darauf, dass man sie als Person ernst nimmt, dass man ihre Grenzen bewahrt und sie schützt.
Meine Grenze hört da auf, wo die Grenze von jemand anderem beginnt. Bis hier hin und nicht weiter.
Erziehung braucht kein Mensch – Erziehung ist der Dressur gleichgestellt. Ich erziehe einen Hund. Ein Pferd. Aber mein Kind ist kein Tier , welches sich den Menschen ‘anpassen soll’ – es ist bereits ein Mensch und bedarf daher keiner Anpassung .
Mein Kind ist gut so wie es ist – mit all den kleinen Fehlern und Macken, trotz allem Liebe ich doch alles.
Ein Mensch hat keine gute und schlechte Seite.
Ein Mensch ist ein Mensch – perfekt unperfekt. Ganz sich selbst.
Aber das geht nicht, wenn wir diesen Menschen von Klein auf zurecht ziehen wie es uns gerade passt.
Auf die Idee , einen erwachsenen Menschen zu erziehen kommt doch ‘logischer Weise’ auch niemand.
Ich arbeite an mir – nicht an meinen Kindern.
Quellen:
Hey Lisa,
Ja, du hast da einen ganz schön strengen und Autoritären Blick auf Erziehung dargestellt und wie ich ebenfalls finde einen ziemlich alten. Aber ich glaube ich kann mich an Geschichten erinnern die von dieser Sichtweise handelten. Grundsätzlich finde ich, Das “ein Kind braucht Regeln” nicht gleichgesetzt werden muss mit “ein Kind muss hören”. Leider sehe ich das bei so manchen Eltern oder auch altbackenen Erziehern. Zum Zitat von Wolfgang Brezinka würde ich eher sagen, dass wir unseren Kindern das weitergeben, was wir für richtig und wertvoll erachten und das Kind vor dem beschützen was wir nicht gut finden. Ich bin der Meinung, dass Kinder Grenzen brauchen. Das Ding ist nur, dass sie nicht wissen können was sie für Grenzen haben. Geht man auf die Bedürfnisse der Kinder ein berücksichtigt ihre Fähigkeiten (Körperlich und Kognitiv), kann man die Grenzen der Kinder abstecken und ihnen helfen für sich das zu erlernen was ihrem Alter entspricht. Und hier kommen dann die Regeln und der Rahmen des Handelns ins Spiel den sie brauchen um sich auch auf gewisse Dinge zu konzentrieren/fokusieren um zu lernen was sie können und nicht. Wo gefahren lauern, die sie noch nicht abschätzen können und welche man ihnen auf keinen Fall erleben lassen will. Ist es aber einem eher wichtig, dass das Kind das alles ohne eine Anleitung tut, dann ist das ein laissez-faire Erziehungsstil. Auch ok. Aber ich denke man kann nicht, nicht erziehen. Die Frage ist halt wie weit man das Kind raum gibt sich selbst zu sein.